Vergleichsfalle – Warum Transparenz ohne Begrenzung überfordert

Im dritten Teil der Serie verschiebt sich der Fokus: weg von der Frage, wie Preise entstehen, hin zu der Frage, wie wir mit ihnen umgehen.
Die Ausgangsthese: Nicht der Mangel an Kontrolle ist das Problem, sondern die Überfülle an Optionen. Wer permanent vergleicht, verliert nicht Geld, sondern Souveränität. Der Beitrag basiert auf den Inhalten von Video 3 „Vergleichsfalle“ und ordnet sie in psychologische und ökonomische Konzepte ein.

Ausgangspunkt: Von der Kontrolle zur Vielfalt

In Teil 2 wurde gezeigt: Der sogenannte Abozwang ist kein realer Zwang, sondern ein psychologischer Effekt. Trotzdem bleiben Ärger über Tarifvielfalt, App-Flut und das Gefühl, ständig zu viel zu zahlen.

Objektiv existiert heute mehr Wahlfreiheit als je zuvor. Subjektiv entsteht der Eindruck, diese Freiheit nicht sinnvoll nutzen zu können. Der Grund liegt im Zusammenspiel von Transparenz, Komplexität und kognitiven Grenzen.

Psychologie der Überforderung

2.1 Auswahlparadoxon

Sheena Iyengar hat mit der bekannten Marmeladenstudie gezeigt: Zu viel Auswahl senkt die Abschlusswahrscheinlichkeit. Bei 24 Sorten Marmelade kauften nur sehr wenige Kunden, bei sechs Sorten waren es deutlich mehr.

Übertragen auf das Laden bedeutet das:
Je mehr Tarife, Karten und Apps zur Auswahl stehen, desto schwerer fällt die Entscheidung. Die Folge sind Überforderung und Aufschieberitis. Wer an der Säule durch mehrere Apps wischt, erlebt genau diese Lähmung.

2.2 Reue und Regret Theory

Die Regret Theory beschreibt Reue als relevanten Faktor in Entscheidungen. Nicht nur der erwartete Nutzen zählt, sondern auch die Angst vor späterer Einsicht, eine bessere Option verpasst zu haben.

Im Lademarkt zeigt sich das so:

  • Tarif gewählt
  • später ein günstigerer Preis in einer anderen App
  • Reue, obwohl der ursprüngliche Preis akzeptabel war

Das verstärkt die Tendenz, beim nächsten Mal noch länger zu suchen. Die Entscheidung verschiebt sich von „gut genug“ zu „hoffentlich optimal“, ohne dass der reale Mehrwert die zusätzliche Anstrengung rechtfertigt.

Ökonomie des Vergleichens

Ökonomisch ist Vergleichen ein Tausch: Geldersparnis gegen Zeit, Aufmerksamkeit und Nerven.

Fakten:

  • Vergleich spart im Idealfall ein paar Euro
  • kostet aber wiederholt Fokus, Reisezeit und mentale Energie

Ab einem Punkt übersteigen die Opportunitätskosten den Nutzen. Was wie rationales Sparverhalten aussieht, wird ineffizient. Das Ergebnis ist keine zusätzliche Kontrolle, sondern kognitive Erschöpfung. Transparenz ohne Begrenzung kippt in Belastung.

„Laden ist zu teuer“ – was der Satz wirklich bedeutet

Die Aussage „Laden ist zu teuer“ ist immer relational. Zu teuer im Vergleich zu was?

Typische, oft unausgesprochene Referenzen:

  • Heimstromtarif
  • früherer, subventionierter Tarif
  • ein Abo-Preis von früher
  • der in Euro umgerechnete Benzinpreis pro 100 Kilometer

Der Ad-hoc-Preis an der Säule bildet jedoch mehr ab als Energie: Standortpacht, Wartung, Backend, Kapitalbindung und teils hohe Beschaffungspreise, dazu Roamingaufschläge in der aktuellen Marktphase.

Gleichzeitig sind die Preisübertreibungen real. In Teilen des Marktes liegen Tarife oberhalb dessen, was ein reifer Markt langfristig tragen kann. Sie verschieben den Kostenvergleich zum Verbrenner zu dessen Gunsten.

Das Gefühl „zu teuer“ ist daher doppelt begründet:

  • psychologisch: falscher oder idealisierter Referenzrahmen
  • strukturell: reale Übertreibungen in einem unreifen Markt

Die Vergleichsfalle verstärkt diesen Effekt. Wer ständig Preise sieht, findet immer einen Grund zur Unzufriedenheit.

Satisficing statt Maximizing

Herbert Simon unterscheidet zwischen zwei Entscheidungstypen:

  • Maximizer: sucht permanent die beste Option
  • Satisficer: akzeptiert eine Lösung, sobald sie seine Anforderungen erfüllt

Der Maximizer erzielt oft minimal bessere Ergebnisse, bleibt aber unzufrieden. Der Satisficer spart Zeit und Nerven und erreicht ein besseres Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

Übertragen auf das Laden:

  • Maximizer jagt dem jeweils günstigsten kWh-Preis hinterher
  • Satisficer definiert einen Zielpreis und beendet danach die Suche

Satisficing ist keine Kapitulation, sondern eine bewusste Optimierung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Ergebnis. Es verschiebt den Fokus von „Minimalpreis“ zu „vernünftigem Gesamtpaket“.

Unterschiedliche Präferenzen und das Tesla-System

Elektroautofahrer sind keine homogene Gruppe. Drei Bedürfnisse überlagern sich:

  • Kontrollorientiert: maximale Entscheidungsfreiheit, niedrige Toleranz für Automatismen
  • Komfortorientiert: minimale kognitive Last, möglichst wenig aktive Entscheidungen
  • Planungsorientiert: feste Tarife, klare Kalkulierbarkeit

Ein Markt mit verschiedenen Tarifmodellen spiegelt diese Unterschiede. Rationalität ist relativ zur eigenen Präferenz. Konflikte entstehen erst, wenn eine Perspektive zur Norm erklärt wird.

Das Tesla-System illustriert das:

  • integrierter Zugang, Preis, Abrechnung
  • Komfort- und Planungsorientierte erhalten maximale Einfachheit
  • ökonomisch handelt es sich um ein geschlossenes System mit gebundenem Privileg

Die Systemkosten sind im Fahrzeugpreis eingepreist. Für viele genügsame Entscheider ist das ausreichend. Maximizer können außerhalb günstigere einzelne Ladevorgänge finden, tauschen aber Komfort gegen geringe Mehrersparnis.

Drei Strategien gegen die Vergleichsfalle

Bis der Markt stabiler ist, helfen drei einfache Regeln:

  1. Kartenbegrenzung
    Maximal drei Ladekarten oder Apps, die etwa 90 Prozent der eigenen Fälle abdecken. Der Rest sind bewusst akzeptierte Ausnahmen.
  2. Preisstopp
    Persönlichen Zielpreis definieren. Wird dieser erreicht oder unterschritten, wird nicht weiter gesucht.
  3. Zeitbudget
    Feste Grenze, zum Beispiel maximal drei Minuten für Tarifrecherche. Danach laden und weiterfahren.

Diese Prinzipien reduzieren Komplexität, ohne Rationalität aufzugeben. Sie verschieben den Fokus auf den Regelfall und akzeptieren Ausnahmefälle als das, was sie sind: seltene Abweichungen, die nicht das Systemdesign bestimmen sollten.

Werkzeuge im unreifen Markt

Bereits heute existieren Werkzeuge, die Informationen bündeln und Vergleichsaufwand reduzieren:

  • Community-Karten und Ad-hoc-Preisübersichten, die günstige Vertriebsformen sichtbar machen
  • Apps, die Ladevorgänge bewerten und Nutzer für Beiträge zur Datenqualität belohnen
  • Tarifvergleichs-Tools, die hinterlegte Verträge auswerten und automatisch zur günstigsten Säule im Umfeld oder entlang der Route führen
  • Anwendungen, die neben dem Preis auch Komfortfaktoren wie Gastronomie, Sanitäreinrichtungen oder Aufenthaltsqualität am Standort berücksichtigen

Alle diese Tools haben gemeinsam: Sie erfordern Zeit und Aufmerksamkeit. Ob man diese Opportunitätskosten investiert, ist Teil der eigenen Strategie. In einem reifen Markt werden nur jene Werkzeuge bestehen, die einen klaren Mehrwert liefern.

Reflexion: Souveränität durch Begrenzung

Die Vergleichsfalle ist kein technisches, sondern ein kognitives Problem. Transparenz allein schafft keine Freiheit. Sie kann in Überforderung umschlagen, wenn es an Begrenzung fehlt.

Souveränität entsteht, wenn zusätzliche Information ab einem Punkt bewusst ignoriert wird, weil ihr Nutzen sinkt. Der genügsame Entscheider handelt in diesem Sinne ökonomisch: Er optimiert das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen, nicht den letzten Cent.

Ein reifer Markt braucht beides:

  • strukturelle Zuverlässigkeit und faire, nachvollziehbare Modelle
  • Nutzer, die Entscheidungen treffen und akzeptieren, statt sie endlos zu hinterfragen

Nur wenn Marktlogik und individuelle Gelassenheit zusammenfinden, entsteht das, was man einen reifen Lademarkt nennen kann. In Teil 4 geht es um diese Zielperspektive: Wie ein System aussehen kann, in dem Wahlfreiheit, Transparenz und Einfachheit im Gleichgewicht stehen.

Anhang

zuletzt abgerufen am 29.10.2025

Sheena Iyengar: https://psychology.columbia.edu/content/sheena-iyengar

Jam Study: https://faculty.washington.edu/jdb/345/345%20Articles/Iyengar%20%26%20Lepper%20(2000).pdf

Regret Theory: https://academic.oup.com/ej/article/125/583/493/5076997?login=false

Expected Utility Theory: https://ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/mtec/necom-dam/documents/Applied%20Negotiation%20Seminar/ANS_Expected_Utility.pdf

Normative Theories of Rational Choice: https://plato.stanford.edu/entries/rationality-normative-utility/

Bounded Rationality: https://plato.stanford.edu/entries/bounded-rationality/

Theorie der begrenzten Rationalität https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/213348

Satisficing: https://de.wikipedia.org/wiki/Satisficing

Herbert Simon: https://undsoc.org/2011/01/30/herbert-simons-satisficing-life/

Tesla Lade-Erlebnis: https://akkvita.de/news/tesla-dominiert-weiterhin-das-ladeerlebnis-fuer-elektrofahrzeuge/

Move Electric Ad Hoc Map: https://www.youtube.com/watch?v=OmpBxzXhS7U

Google Maps Karte, Gerd Bremer: https://www.google.com/maps/d/embed?mid=1L-gatZq7W4lZzdrfLLAK3AVUoc8lKNo&ehbc=2E312F&ll=51.19719011643192%2C10.43542295&z=5

&charge App: https://www.and-charge.com

simplycharging App: Simplycharging.net

chargeprice Karte: https://www.chargeprice.net/en/applications/

charging time App: chargingtime.de


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